Das Tagebuch des Caspar Kruse III, Scharfrichter: 4. April 1638 – Hans Christoph
Heute haben wir unseren Sohn verloren.
Anna hat ihn unter großen Mühen getragen, neun lange Monate. Es war eine Schwangerschaft voller fiebriger Tage und gebrochener Nächte. Ihr Appetit verließ sie oft; häufig lag sie erschöpft auf dem Ruhebett unter dem Fenster, die Hand auf dem Bauch, den Atem schwer. Die Hebamme kam öfter als sonst, brachte ihr Tee aus Fenchel und Kamille, doch nichts konnte den Körper meiner Frau von der Qual befreien, die er trug.
Wir gaben ihm schon vor der Geburt seinen Namen: Hans Christoph. Hans nach einem Onkel, Christoph nach meinem Schwager. Ein kräftiger Name. Ein Name, auf dem man bauen kann. Auch die Kinder – Hans Caspar, Wilhelm und die kleine Anna Maria – sprachen schon von ihrem neuen Brüderchen. Sie legten Leinentücher in die Truhe, zeichneten mit den Fingern Figuren auf die Stoffe, sangen am Herd Lieder von Wiege und Wiegenlied. Es war Hoffnung im Haus, und Erwartung.
Doch als der Tag der Geburt kam, gab es nur Schmerz.
In den frühen Morgenstunden des 4. April begann Anna zu rufen. Keine leise Stimme diesmal, kein ruhiger Atem. Es war ein rauer Schrei, wie der eines Tieres. Ich fuhr empor. Die Hebamme wurde geholt, doch sie brauchte lange. Inzwischen wand sich Anna auf dem Bett, als kämpfe sie gegen ihr eigenes Fleisch. Ihr Gesicht war bleich, ihr Haar klebte vom Schweiß, und als die Hebamme endlich kam, war die Arbeit noch lange nicht begonnen. Das Kind lag falsch, sagte sie. Es werde Blut kommen, viel Blut. Und das kam. Mehr, als ich je bei einem Kranken oder einem Verurteilten gesehen habe. Meine Hände konnten nichts tun. Mein Wissen rettet Leben auf dem Schafott – doch hier war ich machtlos. Gott hielt das Seil in der Hand, und Er rüttelte daran.
Erst spät am Nachmittag kam er zur Welt. Unser Hans Christoph. Ein kleiner Körper, bleich, aber lebend. Er atmete. Er öffnete den Mund und weinte – ein dünner Laut, wie das Piepen einer jungen Maus. Wir hielten den Atem an. Ich nahm ihn in meine Arme, zeigte ihn Anna, die kaum noch die Augen offenhalten konnte. Sie flüsterte seinen Namen und strich mit ihrer blutleeren Hand über seine Wange. Für diesen einen Augenblick war alles still. Die Zeit stand still. Wir waren eine Familie.
Doch eine Stunde später wurde er kälter. Sein Atem stockte. Seine Lippen färbten sich blau. Ich brachte ihn ans Feuer, rieb seine kleine Brust, betete lauter, als ich je gebetet hatte. „Herr, verschone ihn. Verschone uns.“ Doch der Himmel blieb still. Und dann hörte er auf zu atmen.
Er hat vielleicht eine Stunde gelebt.
Anna sank in ihr Kissen zurück. Sie wusste es schon. Die Hebamme senkte den Blick. Ich ging hinaus, in die Kälte, den Kopf zum Himmel erhoben. Warum, Herr? Warum lässt Du Mütter leiden, Väter verzweifeln, Brüder und Schwestern sich freuen, nur um sie dann zu berauben? Meine Tränen froren auf meinen Wangen.
Hans Caspar fragte später am Abend: „Vater, wo ist er jetzt?“ Ich kniete nieder, legte meine Hände auf seine Schultern und sagte: „Bei Gott, mein Junge. Unser Hans Christoph ist jetzt bei Gott.“ Und Anna Maria weinte. Wilhelm sagte nichts, aber er schmiegte sich still an mich.
Wir werden ihn morgen begraben, in einer Ecke des Kirchhofs der Sankt-Stephanikirche. Ein kleines Kreuz wird seinen Namen tragen, und mehr nicht. Er wird in Frieden ruhen, fern vom Kampf dieser Welt.
Heute habe ich kein Haupt verloren. Kein Arm. Keine Seele, die es verdiente. Heute habe ich meinen Sohn verloren.

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