Das Tagebuch des Caspar Kruse III, Scharfrichter: Goslar, 5. Oktober 1636 – Jahrmarktsessen

 Der Jahrmarkt füllte die Stadt mit Geräusch: Hufschlag, Stimmen, Flötenspiel, das Rufen der Händler und das Wiehern der Pferde. Überall Buden, Wagen, Tücher voller Kupfer, Leinen, Pfefferkuchen und Nüsse. Die Luft war schwer von Bratfett und abgestandenem Bier. Kinder rannten hintereinander her, und sogar der Rat ließ sich blicken – fein, hoch aufgerichtet, als ob ihre Stiefel den Schlamm nicht berührten.

Ich ging hindurch wie immer: sichtbar und doch gemieden. Die Menge machte Platz, nicht aus Höflichkeit, sondern aus Gewohnheit.

Vor einem Stand voller Pasteten, Kuchen und gefüllter Brote blieb ich stehen. Die Frau hinter dem Tisch blickte scheu, doch ihre Hände griffen automatisch nach der wärmsten Ecke des Gestells.
„Drei Pfennige“, sagte sie.
Ich legte das Geld hin und nahm die Pastete entgegen.

Taube und Pflaumen – eine seltsame Kombination, aber es roch gut. Die Kruste zerbröckelte unter meinem Daumen, das Fleisch war zart, noch dampfend. Ich ging hinter die Gassen, fort vom Gedränge, zum Stall der Brauerei an der Breiten Straße. Dort, zwischen leeren Fässern und Stroh, setzte ich mich auf einen Holzrand und aß schweigend.

Ein Hund kam herbei. Mager, schmutzig, mit schiefem Ohr. Er sah mich an, nicht bittend, sondern erwartungslos. Als ob er die Welt schon lange so kenne, wie sie wirklich ist.
Ich brach ein Stück der Kruste ab und warf es ihm hin.
Er fraß es – langsam, ohne Knurren, ohne Eile.
Dann sah er mich an.
Und ich dachte:
Er isst dankbarer als viele Menschen.
Kein Urteil.
Keine Distanz.
Kein Name, kein Beruf.
Nur ein Stück Brot, in Stille geteilt.





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