Das Tagebuch des Caspar Kruse III, Scharfrichter: Goslar, den 8. Oktober 1632 – Erste Entbietung

 Heute Morgen wurde ich ins Rathaus gerufen, beim ersten Glockenschlag, noch ehe der Nebel vom Rosenberg sich gehoben hatte. Ein Gesandter des Rates hatte an die Tür geklopft — mit der Rückseite seines Dolches, so schien es — kurz und bestimmt. Meine Frau sah mich an, doch schwieg. Sie kennt jenen Blick in meinen Augen, wenn es kein gewöhnlicher Tag werden soll.

An der Breiten Straße hörte man nur das Scharren meiner Stiefel auf den nassen Steinen. Der Markt lag verlassen, das Morgenlicht schnitt schräg über die Fassaden der Häuser. Nur der Turmhahn kreischte metallisch im Wind. Als ich das Rathaus betrat, grüßte mich niemand. Ich bin es gewohnt. Die Knechte des Rates wichen wortlos zurück. Meine Schritte hallten zu laut auf dem Marmor des Vorraums. Alles atmete den Ernst dessen, was noch nicht ausgesprochen war.

Im Kleinen Ratssaal herrschte Stille, nur das Kratzen einer Gänsefeder war zu hören. Obrist Bergström saß am Kopfende des Tisches, die Hände gefaltet, als bete er. Neben ihm saß Sekretär Kleine, mit jenem ewigen Pergament vor sich, die Hand bereits in Bewegung. Die übrigen schwedischen Beamten — einige kannte ich dem Namen nach, aber nicht näher — blickten scheinbar gleichgültig auf die Reichskarte an der Wand. Doch fühlte ich ihre Augen wie Dolche in meinem Rücken.
Bergström erhob sich nicht, sondern sprach mit flacher Stimme:
„Seid Ihr bereit, das Urteil des Räderns ohne Aufsehen zu vollstrecken?“

Ein Hauch von Ungeduld lag in seiner Frage, als hätte ich etwas gutzumachen, oder vielleicht etwas erwiesen, das ihnen unbequem war. Ich wollte meine Hände falten, tat es aber nicht. Meine Stimme klang ruhig, denn die Antwort trug ich schon Tage in mir:
„Ich zeige nichts. Ich vollstrecke nur.“

Er nickte. Kein Lächeln, keine Milderung. Nur eine leichte Bewegung seines Kinns. Der Sekretär Kleine notierte meine Worte, langsam und sorgfältig. Ich bemühte mich, nicht auf das Pergament zu sehen. Manchmal scheint es, als wöge, was sie dort schreiben, schwerer als das, was wir in Blut und Knochen tun.

Niemand sprach mehr. Die Stille drückte mir gegen die Schläfen. Als hätte ich etwas abgeliefert und müsse nun schweigend fortgeführt werden.

Ich wandte mich um. Fühlte ihre Blicke in meinem Nacken wie eine kalte Hand. Erst als ich wieder den Gang betrat und die Tür hinter mir schloss, atmete ich aus.

Draußen auf dem Platz hatte die Sonne den Nebel vertrieben. Über der Marktkirche krächzte ein Rabe, dreimal. Ich blickte empor, dachte an den Mann, dessen Knochen ich übermorgen auf dem Hochgericht zerbrechen werde. Sein Name ist Hans Becker, Zimmerknecht, verurteilt wegen Mordes und Raubes. Er wird der Erste sein, den ich rädern werde.

Der Hammer liegt schon bereit. Ich habe ihn gestern noch mit Öl eingerieben.



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