Das Tagebuch des Caspar Kruse III, Scharfrichter: Goslar, 3. Oktober 1632 – Empfang
Es war ein grauer Morgen, feucht und still. Der Herbst kam früh in jenem Jahr; der Wind jagte Laub über den Marktplatz beim Rathaus, als wären es Reste von etwas, das nicht bleiben durfte. Keine Glocke erklang.
In meiner Stube am Rande des Rosenbergs saß ich an meinem Schreibpult, als an die Tür geklopft wurde.
Dreimal. Kurze Schläge. Nicht mit den Knöcheln, sondern mit dem Handrücken.
Es war ein Junge, nicht älter als sechzehn. Ein Knecht des Stadtrentmeisters. Er trug ein grobes Leinentuch in der Hand, sorgfältig mit Strick zugebunden. Seine Augen blickten gesenkt. Er sagte nichts. Ich fragte nichts.
Er reichte mir das Bündel, als entschuldige er sich dafür, dass er existierte.
Ich nahm es an, spürte das Gewicht, roch das Brot durch das Tuch: Roggenbrot, sauer, frisch aus demselben Ofen, der die Stadt nährt – doch von dem ich nie etwas erhielt ohne vorausgehendes Blut.
Im Tuch befand sich außerdem ein Lederbeutel. Darin:
Zwei Taler.
Klar. Schwer. Der eine mit dem kaiserlichen Wappen, der andere mit gesprungener Kante.
Und ein loses Brotkrümelchen, als habe sich das Geld dem Brot zugesellt.
Ich zeichnete die Quittung mit fester Hand:
„Caspar Kruse, Scharfrichter der Stadt Goslar. Zahlung empfangen für das Urteil an Heinrich Henning, 3. Oktober 1632.“
Als ich das Pergament zurückgab, wollte er es zuerst nicht annehmen. Seine Finger zitterten.
Unsere Hände berührten einander nicht.
Niemand sprach über Heinrich Henning. Nicht mehr.
Er war ein Knecht gewesen – verdächtigt des Diebstahls, später des Fluchens und schließlich der Verschwörung. Ein Wort des Rates genügte. Der Henker wurde gerufen. Das Schwert geschliffen.
Ich hatte getan, was getan werden musste.
Sein Kopf fiel wie das Holz, das er einst spaltete.
Es wurde nicht geweint. Kein Gebet gesprochen.
Und doch… wurde die Zahlung in einem Tuch gebracht, als wäre sie befleckt.
Als trügen meine Hände etwas weiter, das haften blieb.
Als trüge das Geld selbst den Tod in sich.
Der Junge ging ohne Gruß.
Ich blieb noch eine Weile stehen, das Tuch in meiner Hand.
Das Brot legte ich aufs Brett.
Mein Name stand auf dem Pergament.
Doch niemand sah mir in die Augen.
Selbst das Geld schien wegzublicken.

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