Das Tagebuch des Caspar Kruse III, Scharfrichter: Goslar, 14. Mai 1632 – Die letzte Frau des Hauses
Der Brief kam mit der Abendpost, im Regen, die Ränder schon weich von Feuchtigkeit, das Siegel von Quedlinburg aufgerissen. Der Bote war schweigsam und betrunken, seine Augen glänzten vor Mitleid oder Bier – ich weiß es nicht. Er reichte mir den Brief, nickte nur und ging.
Ich erkannte die Handschrift sofort.
Hans Mosel.
Sein Stil war sachlich, wie immer, als schreibe er über eine Lieferung Felle oder eine Verabredung beim Rat.
„Mein werter Caspar,
Eure Mutter Magdalena, meine Frau, ist am 8. Mai an der Pest verstorben. Es ging schnell. Sie klagte nur zwei Tage über Fieber, dann brach die Haut auf und sie wurde schwach. Am dritten Tag sprach sie nicht mehr.
Sie starb in Frieden, auf ihrem Ruhebett, mit einer Kerze und dem Kruzifix, das sie von Euch mitgenommen hatte.
Die Beerdigung ist für den 10. Mai angesetzt, in der kleinen Kirche am Markt in Quedlinburg.
Wenn Ihr und Anna kommen wollt, seid Ihr willkommen.
Eure Mutter fragte in ihrer letzten Stunde noch nach Eurem Sohn.
— Hans Mosel“
Ich las es dreimal.
Anna weinte leise. Nicht laut. Sie saß am Feuer mit dem kleinen Hans Caspar auf dem Schoß, sein Haar golden im Abendlicht, seine Augen zu jung, um den Tod zu begreifen.
„Er kann noch keinen Tag ohne mich,“ flüsterte sie. „Und ich will ihm das nicht antun.“
Ich verstand sie.
Ich sattelte mein Pferd.
Der Weg nach Quedlinburg war nass und düster. Der Regen schlug mir auf die Kapuze, der Sattel wurde glatt unter mir, und die Bäume am Weg schienen sich unter ihrer eigenen Trauer zu beugen. Ich kam spät an – gerade rechtzeitig.
Die Kirche war klein, gewölbt, einsam. Drinnen standen ein paar Stühle, der Geruch von Weihrauch und Krankheit hing noch in den Mauern. Vielleicht zehn Menschen waren dort. Kein Gesang, kein Glockenläuten, nur ein Prediger mit rauen Händen, der von Leiden und Ergebung sprach. Ich erkannte niemanden außer Hans Mosel, der vorn saß, die Hände auf den Knien. Er sah auf, als ich eintrat, und nickte. Mehr nicht.
Der Sarg war aus Kiefernholz. Schlicht. Keine Blumen. Kein Namensschild. Nur ein kleines Kreuz auf dem Deckel, mit schwarzer Tinte gezeichnet.
Ich stand hinten.
Und ich dachte an ihre Hände.
Daran, wie sie Brot schnitt, meine Stirn berührte, das Feuer mit einem Hauch entfachte.
Daran, wie sie schwieg, als Vater fiel.
Daran, wie sie ging – plötzlich, sachlich, ohne Kampf.
Hans Mosel sprach ein paar Worte. „Sie war meine Frau. Kurz, aber wahrhaftig. Sie brachte Ruhe in mein Haus.“ Dann wies er auf mich. „Und sie liebte ihren Sohn.“
Ich nickte.
Und schwieg.
Nach der Zeremonie brachte man den Sarg zum Friedhof hinter der Kapelle. Der Boden war nass. Zwei Männer ließen ihn hinab. Kein Chor, keine Glocke. Nur der Regen auf den Steinen.
Ich sah zu, bis die Erde wieder eben war. Dann blieb ich stehen. Lange Zeit. Bis alle gegangen waren.
Dann sprach ich leise:
„Magdalena. Meine Mutter. Vergib mir, dass ich dich nicht verstand.“
Das Haus am Rosenberg war still, als ich zurückkam. Anna hatte gewaschen, das Feuer brannte. Der kleine Hans Caspar lag in seiner Wiege, seine Brust hob und senkte sich wie eine Uhr – regelmäßig, ungerührt.
Ich legte den Reiseumhang ab, wischte den Schlamm von meinen Stiefeln und blickte zur Wand, wo Mutters Krug noch immer stand. Am selben Platz. Unberührt.
Sie ist nicht mehr da.
Und doch ist sie überall.
Im Teig. Im Holz. Im Licht durch das Fenster.
Sie starb in der Ferne.
Doch sie wohnt noch hier.
In mir.

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